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Kontrollierte Flockulation

Der Begriff “Flockulation” ist zwar negativ belegt, es gibt aber durchaus Rahmenbedingungen, unter denen eine gezielte und kontrollierte Flockulation für die gewünschten Lackeigenschaften günstiger sein kann, als vollständige Deflockulation. Eine unkontrollierte Flockulation führt in jedem Fall zu Instabilitäten des Farbortes bei Lagerung, zu starkem Bodensatz, Glanzreduzierung und Viskositätserhöhung. Die kontrollierte Flockulation wird in der Lackindustrie seit vielen Jahren gezielt angewendet.

Flockulation

Flockulation

Unkontrollierte Flockulation (ohne Additive): Flockulierte Pigmentteilchen haben direkten Kontakt miteinander und lassen sich nur durch hohe Scherkräfte voneinander trennen.

Kontrollierte Flockuation (durch Additive hervorgerufen): Pigmentteilchen sind über Additivmoleküle zu einem Netzwerk verbunden; kein direkter Pigment-Pigment-Kontakt. Solche „kontrollierten“ Flockulate sind durch geringe Scherkräfte zu zerstören.

Wenn niedermolekulare Netz- und Dispergieradditive mindestens zwei bis drei Haftgruppen enthalten, die räumlich gut von einander getrennt sind, dann können sie direkt oder über weitere Additivmoleküle Brücken zwischen verschiedenen Pigmenten ausbilden und auf diese Weise größere flockulat-ähnliche dreidimensionale Netzwerkstrukturen aufbauen.

Die Größe und Stabilität solcher "Flockulate" wird durch die Eigenschaften des Additivs bestimmt, d.h. durch die Wechselwirkungen Additiv-Additiv und Additiv-Pigment. Man spricht in diesen Fällen von einer "kontrollierten Flockulation", da der ganze Vorgang über das Additiv kontrolliert wird.

Kontrolliertes Flockulat durch spezielle niedrigmolekulare Netz- und Dispergieradditive mit mehreren Haftgruppen pro Molekül.

Es ist wichtig, sich den Unterschied zur "normalen" Flockulation klar zu machen: ohne Additiv stehen die Pigmentteilchen im unkontrollierten Flockulat direkt miteinander in Kontakt und sind nur schwer voneinander zu trennen. Im Falle einer kontrollierten Flockulation gibt es dagegen keine direkten Pigment-Pigment-Kontakte, immer befinden sich Additivmoleküle zwischen den Pigmentteilchen. Diese kontrolliert flockulierend wirkenden Netz- und Dispergieradditive haben ebenfalls pigmentbenetzende Eigenschaften und sie stabilisieren auch die Pigmentdispersion, nur in einer anderen Form als die deflockulierenden Additive.

Während eine unkontrollierte Flockulation immer unerwünscht ist, da mit ihr eine Reihe von negativen Eigenschaften verbunden sind (wie beispielsweise Glanzminderung, Viskositätsinstabilitäten, usw.), kann eine kontrollierte Flockulation durchaus gezielt eingesetzt werden, um bestimmte gewünschte Effekte im Lacksystem zu erreichen.

Die durch kontrolliert flockulierende Netz- und Dispergieradditive erzeugte dreidimensionale Netzwerkstruktur ist in ähnlicher Form von Rheologieadditiven bekannt und auch bei den kontrolliert flockulierenden Additiven ist damit ein charakteristisches rheologisches Verhalten verbunden: Durch diese Strukturen ist im Ruhezustand die Viskosität des Lackes recht hoch, während unter Einwirkung von Scherkräften die Strukturen, d.h. die Pigment-Flockulate, zusammenbrechen, was zu einer niedrigeren Viskosität führt. Anschließend, nach Fortfall der Scherkräfte, bilden sich die Strukturen wieder zurück. Meist weisen solche Systeme zusätzlich eine Fließgrenze auf. Während die deflockulierenden Additive ein eher newton'sches Fließverhalten einstellen und Thixotropie abbauen, wird durch kontrolliert flockulierende Additive Thixotropie oder zumindest ein pseudoplastisches Fließverhalten erzeugt. Durch eine solche Rheologie werden Lackeigenschaften wie Ablaufen und Absetzen positiv beeinflusst. Allerdings muss wegen der kontrollierten Flockulation aber auch mit einer Glanzreduzierung gerechnet werden; hochglänzende Formulierungen sind mit diesen Additiven kaum zu realisieren.

Anhand der geschilderten Zusammenhänge wird auch deutlich, wo das Einsatzgebiet dieser Art von Dispergieradditiven liegt: sie werden hauptsächlich in Grundierungen, Füllern und Zwischenanstrichen verwendet, wo eine etwaige Glanzreduzierung nicht ins Gewicht fällt, aber die verbesserte Standfestigkeit an geneigten Flächen und die geringere Sedimentationsneigung der Feststoffpartikel gewünscht ist. Für Decklacksysteme wird man aber meist, schon des besseren Glanzes und Verlaufs wegen, eine möglichst weitgehende Deflockulation vorziehen. Natürlich gibt es auch hier einen Zwischenbereich, in dem man bei nicht so hohen Qualitätsansprüchen an die Decklackeigenschaften auch mit einer leichten kontrollierten Flockulation gute Ergebnisse erzielen kann.

Die ausgeprägten rheologischen Effekte der kontrolliert flockulierenden Additive dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass diese Produkte in erster Linie zur Pigmentbenetzung und -stabilisierung eingesetzt werden. Der Einfluss auf die Rheologie ist nur ein Nebeneffekt, auch wenn er sehr gelegen kommt. Meist ist die Beeinflussung des Fließverhaltens nur über die kontrolliert flockulierenden Dispergieradditive allein auch nicht ausreichend. Kombinationen mit "echten" Rheologieadditiven sind gängige Praxis.

Die Hauptvertreter der kontrolliert flockulierenden Netz- und Dispergieradditive sind ANTI‑TERRA‑204, das in lösemittelhaltigen Füllern und Grundierungen vielfältig eingesetzt wird, und ANTI‑TERRA‑250, welches in wässrigen Systemen angewendet wird. BYK‑P 104 ist ein Additiv mit deutlich geringeren kontrolliert flockulierenden Wirkung. Es wurde entwickelt, um gezielt das Ausschwimmen in Kombinationen von Titandioxid mit farbigen Pigmenten zu unterbinden. Es erreicht dies durch Co-Flockulation, ohne dabei zu stark den Glanz und die Rheologie des Systems zu beeinflussen.